Filmbeschrieb

Forget Baghdad

von Samir
Montag
14
April
2003
Kino Gotthard, Zug
um 20.00 Uhr
Der Film wurde bereits gezeigt – keine Tickets mehr erhältlich.

Eine filmische Reflexion über die Klischees „des Juden" und „des Arabers" in den letzten hundert Jahren Film, verbunden mit den Biographien von aussergewöhnlichen Menschen: Irakisch-jüdische Kommunisten.

Samir – selbst Kind irakischer Einwanderer in der Schweiz, beschäftigt sich als Filmemacher seit Jahren mit den Fragen von Entfremdung und der Bildung von Identität. Innerhalb dieser Diskussion ist Prof. Ella Shohat (Soziologin und Filmhistorikerin an der City University of New York) eine der wichtigsten Figuren des Films. Aufgewachsen in Israel als Tochter irakischer Juden, reflektiert sie ihre Geschichte. Forget Baghdad geht unter anderem den Lebensgeschichten von vier weiteren sehr speziellen Menschen nach: Shimon Ballas, Professor für Arabisch in Tel Aviv, engagiert in der Pro-Palästinensischen Friedens- und Bürgerrechtsbewegung. Sami Michael, eineer der berühmtesten Bestseller-Autoren Israels, der schon Mitte der fünziger Jahre mit dem Kommunismus brach.
Mashe Houri, ein reicher Kioskinhaber und Bauunternehmer in einem Vorort Tel Avivs. Er wählt immer noch die Kommunisten. Samir Naqquash, der einzige von den Vieren, der seine Literatur immer noch auf Arabisch schreibt. Dafür hat er schon etliche Preise gewonnen, aber kein Verleger will mehr seine Bücher herausbringen. Weder in der arabischen Welt noch in Israel... Die vier alten Protagonisten waren in ihrer Jugend durch den Internationalismus der irakischen kommunistischen Partei geprägt. Doch Anfang der fünfziger Jahre gerieten sie durch ihre religiöse Herkunft als arabische Juden in Widerspruch zum aufstrebenden arabischen Nationalismus, den sie paradoxerweise durch ihre politische Arbeit als Kommunisten unterstützt hatten. Durch ihre Flucht nach Israel kamen sie vom Regen in die Traufe, denn dort wurden sie als Kommunisten ebenfalls als Aussenseiter behandelt und misstrauisch beäugt. Obwohl sie sich der arabischen Welt zugehörig fühlten, mussten sie sich notgedrungen assimilieren und sich eine neue Kultur aneignen. Als „Mizrahim" und durch ihre politische Orientierung wurden sie immer wieder zur Zielscheibe von chauvinistischer Ignoranz. Ihr Leben steht damit exemplarisch für die Geschichte dieses Jahrhunderts und wie sich eine neue „Welt-Unordnung" durchsetzt. Der politische Hintergrund: 1934 Gründung der irakischen kommunistischen Partei, bis zur Bildungg der Nationalen Fortschritt-front 1973 (mit der heute regierenden Baath-Partei) im Untergrund. KP ist eine eher eine städtische Organisation, hat baer auch viele kurdische Anhänger und spielte 1958 eine grosse Rolle beim Umsturz gegen den König. Beim rechten Militärputsch 1960 so gut wie ausradiert, ab März 1979 wieder im Untergrund.

Die israelische kommunistische Partei entstand 1923 als palästinensische kommunistische Partei und teilte sich schon vor 1948 (Staatsgründung Israel) mehrfach in jüdische und arabische Flügel. Später entstand einerseits der linkssozialistische, fast rein jüdische Flügel und andrerseits die fast nur arabische und moskautreue neue kommunistische Partei. Im Irak waren die Juden zahlenmässig nicht sehr stark in der kommunistischen Partei vertreten, stellten aber relativ viele Führungsmitglieder mit Gymnasialbildung, wo entweder französisch oder englisch unterrichtet wurde; sie beherrschten also mindestens eine Fremdsprache, was in der Zeit der Internationale sehr wichtig war. 1946 wurde die ‚Liga zur Bekämpfung des Zionismus' gegründet, von Mitgliedern der komm.Partei, sie existierte nur kurz und operierte dann ebenfalls im Untergrund. Als die UdSSR der Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina zustimmten, gab es auch nichtzionistische Parlamentsabgeordnete und konnten so damit leben, einem nationalen jüdischen Staat anzugehören. Seit Mitte der 50er Jahre gibt es keine Juden mehr im Irak. Die meisten sind ausgewandert, viele davon nach Israel (in Tel Aviv leben 250 000 irakische Juden – die meistens noch den arabischen Dialekt sprechen, der im Irak üblich ist. Ausgezeichnet mit dem grossen Zürcher Filmpreis 2002. Aus der Begründung der Jury: „Hartnäckig stellt Samir den 4 Protagonisten die Frage nach ihrer Identität und sticht damit mitten in die politische Aktualität im Nahen Osten....über Filmausschnitte thematisiert er die medial vermittelten Klischees vom Juden und vom Araber...die komplexe Thematik findet in einer höchst differenzierten Filmsprache ihren Widerhall.

Ein Film von Samir
110 Minuten, Farbe, 35mm

Drehbuch:
Samir
Kamera:

Nurith Aviv, Philippe Bellaiche
Musik:

Rabih Abou-Khalil
mit:
Shimon Ballas, Moshe Houri, Sami Michael, Samir Nakash, Ella Habiba Shohat.
Verleih:
look now!

Preis der Semaine de la critique, Locarno 2002
Grosser Zürcher Filmpreis 2002

Infos zum Filmabend

Samir ist anwesend!

Samir: *1955 in Baghdad, seit Anfang der 60er Jahre mit seinen Eltern (muslimisch-irakisch) in der Schweiz. Besuch der Schule für Gestaltung, Lehre als Typograph. Ausbildung zum Kameramann, seit Mitte der 80er Jahre Realisation eigener Filme mit innovativem Charakter. Zahlreiche Preise. Seit 1994 mit Werner Schweizer die Dschoint Ventschr Filmproduktion, die sich seither einen Namen machte (Filmpreis 1997). Neben filmischer Tätigkeit stellt er auch in regelmässigen Abständen Arbeiten im Bereich der bildenden Kunst vor.